Ragnar Kjartansson
06 May - 26 June 2011
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| © Ragnar Kjartansson |
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RAGNAR KJARTANSSON
Take me here by the Dishwasher
Memorial for a Marriage
6 May - 26 June, 2011
Auch wenn es nicht so aussieht, die Ausstellung Take me here by the
Dishwasher ist ein Porträt. Ragnar Kjartansson, der sich selbst als
einen hoffnungslosen Romantiker bezeichnet, ist ein isländischer
Künstler, der sich vorwiegend auf den Gebieten der Performance, des
Theaters und der Musik bewegt. Er übt sein Handwerk aber auch in
traditionelleren Medien wie Malerei, Zeichnung und Video aus.
Kulturgeschichte und Mythos, Rituale und ein Spektrum von Identitäten,
Trauer, Glück, Schönheit, Horror, Drama, Humor – all das sind die
Zutaten für ein Werk, für dessen Existenz es nur einen Grund gibt: den
Impuls eines Charismatikers, zu entertainen.
Bereits die Empfängnis des Künstlers liegt in einem Nebel aus Realität
und Fiktion. Kjartansson, in eine Familie von Theaterleuten geboren,
vermutet, dass er auf dem Filmset von Islands erstem erotischem Thriller
gezeugt wurde. In Morðsaga (Reynir Oddsson, 1977) spielt seine Mutter,
Guðrún Ásmundsdóttir, eine einsame Hausfrau, der Vater, Kjartan
Ragnarsson, den Installateur, den sie in ihren Träumen ruft, um den
Geschirrspüler zu reparieren. In der Tat fällt Ragnars Start ins Leben
in jenen Monat, als die Liebesszene gedreht wurde. Take me here by the
Dishwasher zeigt den alles entscheidenden Moment im Filmloop.
Von Beginn seiner rasanten Karriere an hat sich Ragnar Kjartansson mit
dem Rollenbild des Künstlers auseinandergesetzt. Seine Arbeiten sind
laufende Erhebungen zum Status von Künstler, Werk und Publikum. Wer bin
ich, wo bin ich, was tue ich dort, was ist geschehen, bevor ich hierher
kam? Die Fragen, die sich nach Lee Strasberg ein Method Actor stellen
muss, scheinen auch für Kjartanssons Technik eine Rolle zu spielen: der
exhibitionistische Künstler, der Requisiten für Tableaux Vivants und
Rollenspiele produziert, die Teile eines sehr persönlichen
Identitätspuzzles sind: das Porträt des Künstlers als Maler nächtlicher
Seestücke, als Opernsänger im Rokokotheater, als Lonesome Cowboy mit
Gitarre in den Rocky Mountains.
Seit Ragnar Kjartansson Dieter Roth erlebt hat, der an der Universität
der Künste in Reykjavík entweder Gedichte vorlas oder Manager
verfluchte, weiß er über die Bedeutung von Präsenz Bescheid. Deshalb ist
sein Werk immer live und mit Entschiedenheit performativ. Denn die
Frage, wie Kunst entsteht, ist mindestens so wichtig wie das fertige
Resultat. Auch im Zentrum der Ausstellung im Kunstraum BAWAG
Contemporary steht ein zeitgebundenes Werk, geht es um den Moment, in
dem Kunst passiert: Zehn Troubadoure (der Typus des romantischen Helden –
ob sagenumwobener Troubadour, Fantasyversion von Prinz Eisenherz oder
Mann an der Gitarre – hat schon in verschiedenen Szenarios des Künstlers
Verwendung gefunden) im Casual Dress singen ein Dialogfragment aus dem
Film Morðsaga zur Musik von Kjartan Sveinsson, dem legendären Keyboarder
der isländischen Postrockband Sigur Rós. Die Troubadoure sind
professionelle Musiker, alle spielen Gitarre. Nun ist der Typus „Mann
mit Gitarre” eine Chiffre der globalen Jugendkultur und des rebellischen
Aufbegehrens, ein geradezu ikonisches Symbol in populären Mythologien.
In der Ausstellung geht das Superzeichen eine leicht erschöpfte
Verbindung mit Bier und Zigaretten ein. Für die Dauer der Ausstellung
treffen die Performer täglich zusammen, rauchen, trinken und singen ihr
Lied. Eine soziale Skulptur wird entstehen, eine kaputte Version von der
immerwährenden Wiederkehr des Gleichen, und vielleicht wird man gegen
Ende ein kleines Nietzsche-Syndrom ausmachen können. Darüber hinaus
arbeitet sich Kjartansson lustvoll an Genderklischees ab, immer wieder
weist er darauf hin, dass seine Kunst aus dem Feminismus erwächst. Das
Pathos, der im Bild des Mannes an der Gitarre steckt, seine
Sexualisierung durch das Instrument, kommt ihm da gerade recht.
Kjartanssons Methode ist eine der unendlichen Geschichten, der Zyklen
und absurden Loops. In seinen Pasticcios stellt er Elemente, die für die
Kunst Relevanz haben, einem Corpus an nostalgischen kulturellen
Referenzen gegenüber und lässt die Grenzen zwischen all dem gnädig in
einem isländischen Mudpool versickern.
Die Performances dauern oft viele Tage und Stunden und verlangen totalen
körperlichen Einsatz. Auf der Manifesta 8 in Rovereto etwa sang er 2008
zwei Wochen lang acht Stunden täglich von einem Klavier begleitet
Schumanns Dichterliebe. Für diedekadente Version eines Liederabends trug
er einen eleganten schwarzen Smoking mit Fliege, rauchte dicke Zigarren
und trank Champagner, bis er nicht mehr stehen konnte. 2009 vertrat er
Island bei der Biennale von Venedig. In einem Palazzo am Canale Grande
richtete Kjartansson sein Atelier mit Plattenspielern, Gitarren und
einer Couch ein. Er produzierte – ganz Malerfürst – während der
sechsmonatigen Laufzeit pro Tag ein Bild. Modell war sein Freund Páll
Haukur Björnsson, der eine Badehose der beliebten Sportswearmarke Speedo
trug. Immer wieder arbeitet der Künstler auch mit Familienmitgliedern.
In der kürzlich eröffneten Personale Song im Carnegie Museum of Art
traten in der Marmorhalle seine Nichten Ragnheiður, Rakel und Iris in
weißen Kleidern auf.
In Kjartanssons ernsthaften und furiosen Momentaufnahmen geht es um
Liebe und Freundschaft, um Schönheit und gebrochene Herzen, um Liebe und
Tod, Glück und Schmerz, um Himmel und Hölle. Nie geht es um Siege, oft
um Niederlagen. Das Modell heißt: Ewigkeit.
Im Backspace des Kunstraums BAWAG Contemporary, unten im Keller, zeigt
Ragnar Kjartansson ein sehr persönliches Porträt des von ihm hoch
verehrten Mississippi-Bluessängers Pinetop Perkins (7. Juli 1913,
Belzoni, Mississippi – 21. März 2011, Austin, Texas). „Eternal Pinetop”
betritt das – einzige – Bild des Films wie eine Bühne. Er trägt elegante
beige Hosen, ein weißes Hemd und den unvermeidlichen Hut. Im Filmset am
Stadtrand von Pinetops Wohnort Austin bezieht sich Ragnar Kjartansson
auf das berühmte Bild Christina’s World von Andrew Wyeth: ein baumloser,
flacher Hang, ein Haus am Horizont, an Stelle des poliokranken
Mädchens, das zum Haus kriecht, der 97-jährige Pinetop Perkins an seinem
Klavier, das ihm 80 Freunde zum 80. Geburtstag geschenkt haben. Dann
legt er los mit dem Blues, wiederholt sich, murmelt vor sich hin, streut
den ein oder anderen Jingle dazwischen und loopt sich durch seine
Melodien und Rhythmen. Dazu raucht er unentwegt, beschwert sich über das
ungestimmte Klavier und tritt nach 49 Minuten ebenso lakonisch ab, wie
er gekommen ist. Wenn auch die Technik des legendären ältesten
Grammy-Gewinners unter der Sonne vielleicht ein wenig unscharf ist, die
geniale Musikalität, erworben in 98 Lebensjahren, überlebt nicht zuletzt
im Video eines wahren Fans und Gleichgesinnten: in Ragnar Kjartanssons
The Man (2010).
(Brigitte Huck)
www.bawag-foundation.at
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